"Negativ phototrop" liest sich sehr klobig und unverständlich, ist aber eine clevere Strategie, die einige Pflanzenarten wählen, um beispielsweise ihre Früchte an einem geeigneten Ort zu platzieren (und damit dem reinen Zufall, wohin die Früchte resp. Samen fallen, ein Schnippchen schlagen).
Das Wort "phototrop" setzt sich aus griech. phos, photos (für Licht) und tropos (Richtung, Wendung) zusammen – "negativ" bezieht sich auf die Richtung (das heisst weg vom Licht, ab ins Dunkle).
Das Lehrbuch-Beispiel einer Art mit ganz "normal" positiv phototropen (d.h. sich dem Licht zuwendenden) Blüten, deren Fruchtstiele sich aber in die entgegengesetzte Richtung drehen und sich die dunkelsten Mauerritzen aussuchen, um die reifenden Kapseln "abzulegen", ist das Zimbelkraut (Cymbalaria muralis).
Die wachsenden, negativ phototropen Fruchtstiele des Zimbelkrauts (Cymbalaria muralis) sind im kurzen BBC-Film mit David Attenborough
auf https://www.youtube.com/watch?v=k99irWyeobo
(Min 1:30 bis 2:30)
sehr schön dokumentiert.
Heute sind mir in einer Mauer mit Zimbelkraut die reifenden Früchte des Gelben Lerchensporns (Corydalis lutea) aufgefallen, die mehrheitlich zur Mauerwand gerichtet waren, während sich die Blüten wie erwartet möglichst zum Licht ausgerichtet hatten. Die Bewegung zur Wand scheint sich nicht auf die Früchte zu beschränken, sondern umfasst auch den ganzen Stiel des Fruchtstandes.
Im Unterschied zu den rein schwarzen Samen des Zimbelkrauts besitzen die Samen des Gelben Lerchensporns (Corydalis lutea) aber ein weisses, gefranstes Elaiosom für die Ameisen. Setzt der Gelbe Lerchensporn somit auf zwei Strategien – Früchte und Samen möglichst in der Dunkelheit reifen lassen in der Hoffnung, sie finden dort bessere Keimbedingungen, als wenn sie einfach plump und gerade auf den Boden fallen UND die Ameisen belohnen dafür, dass sie die reifen Samen abtransportieren? So nach dem Prinzip: Doppelt genäht hält besser?
5 Réponses
Als Vergleich das Zimbelkraut (Cymbalaria muralis): Lehrbuch-Beispiel für negativ phototrope Fruchtstiel-Bewegungen - während die Blüten zum Licht gerichtet sind, wachsen die Fruchtstiele gezielt in dunkle Mauerritzen.
Bei den anderen Lerchensporn-Arten habe ich keine Bewegungen der Frucht(standstiele) beobachtet; zumindest beim Hohlknolligen Lerchensporn (Corydalis cava) und beim Festknolligen Lerchensporn (Corydalis solida) sind die Früchte hängend, ohne in eine bestimmte Richtung gedreht zu sein.
Alles etwas abgefahren, ich weiss... :-) Aber vielleicht hat jemand ähnliche/andere Beobachtungen gemacht beim Gelben Lerchensporn – oder auch bei anderen Arten?
Bin gespannt und freue mich auf Ergänzungen und ggf. Korrekturen, Hinweise auf Literatur etc. :-)
Lieber Gruss, muriel
Hallo Muriel
abgefahren ist dies meiner Ansicht nach ganz und gar nicht. Man ist, meiner Ansicht nach, viel zu sehr auf die Blüten der Pflanzen und nicht auf die Fruchtbildung, Samenreife, Samenausbreitung, Keimen und Jungpflanzen.
Nun meine Frage zum Thema: Ist es wirklich das “Licht”, welches einer Rolle spielt oder die i. d. R. kühlere Steinwand (sprich “Temperatur”) an den Standorten der erwähnten Pflanzen? Bzw. beides ist ja nicht vollständig entkoppelt.
Auf jeden Fall ganz herzlichen Dank für diesen spannenden Beitrag.
Gruss Thomas
Hallo Thomas
Ja, diese Bewegungen werden durch Licht gesteuert; Publikationen zum Thema Phototropismus gibt es zahlreiche (es folgen ein paar Links) – und auch good old Darwin hat sich zusammen mit seinem Sohn Francis nicht nur Gedanken dazu gemacht, sondern v.a. sehr umfangreiche Beobachtungen angestellt und diese im Werk "The power of movement in plants" festgehalten.
Review:
Liscum, E. et al. 2014: Phototropism: Growing towards an Understanding of Plant Movement. The Plant Cell, 26: 38–55
https://academic.oup.com/plcell/article/26/1/38/6102330
https://doi.org/10.1105/tpc.113.119727
→ Figur 1!
Minireviw:
Fankhauser, C. & Christie, J.M. 2015: Plant Phototropic Growth. Current Biology 25, R384–R389
https://www.cell.com/current-biology/pdf/S0960-9822(15)00335-8.pdf
http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2015.03.020
Charles und Francis Darwin, 1881: «The Power of Movements in Plants»
https://archive.org/details/powermovementin06darwgoog/page/n6/mode/2up
Holland, J.J. et al. 2009: Understanding phototropism: from Darwin to today. Journal of Experimental Botany, 60(7): 1969–1978
https://academic.oup.com/jxb/article/60/7/1969/684486
https://doi.org/10.1093/jxb/erp113
Lieber Gruss, muriel