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Bestäubung

Markus Frey 09.01.2025

Wie verhindert Corylus (Hasel) die Selbstbestäubung?
Die weibliche Blüte blüht - der männliche Pollen stiebt (Foto).

24.12.2024 (Markus Frey)

3 Risposte

Danke @Markus für deine Beobachtung!

Ich versuche eine erste, sicher noch unvollständige Antwort:

Das sehr klobige Zauberwort bei der Bestäubung des Haselstrauchs (Corylus avellana) heisst "sporophytic incompatibility" resp. auf Deutsch "Sporophytische Selbstinkompatibilität (SSI)" (natürlich nicht besser verständlich).
Die gute Nachricht bei einem solchen Zauberwort ist aber simpel: Google spukt unzählige Bilder dazu raus oder auch den umfassenden Wikipedia-Artikel zu "Selbstinkompatibilität bei Pflanzen":
https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstinkompatibilit%C3%A4t_bei_Pflanzen 

Der Haselstrauch stellt mit dieser Strategie sicher, dass nur Pollen, der genetisch deutlich unterschiedlich ist, die Samenanlagen befruchten kann; stammt der Pollen von der eigenen Pflanze oder ist er zumindest genetisch ähnlich, passiert nix, auch wenn die Pollenkörner den Narben praktisch um die Ohren fliegen. 

Zum Haselstrauch (Corylus avellana) gibt es reichlich Literatur, auch zur Bestäubung. Eine kleine Auswahl:

Mehlenbacher, S.A. 2014: Geographic Distribution of Incompatibility Alleles in Cultivars and Selections of European Hazelnut. J. Amer. Soc. Hort. Sci. 139(2): 191–212
https://journals.ashs.org/jashs/downloadpdf/view/journals/jashs/139/2/article-p191.pdf 

Germain, E. 1994: The reproduction of hazelnut (Corylus avellana): A review. Acta Hortic. 351, 195-210
DOI: 10.17660/ActaHortic.1994.351.19
Abstract auf https://www.ishs.org/ishs-article/351_19 

Eine kleine Hintertür bleibt bei dieser Geschichte offen, denn bei gewissen Sorten (cultivars) scheint die Selbstbestäubung doch zu funktionieren:   
Mehlenbacher, S.A. & Smith, D.C. 1991: Partial self-compatibility in ‘Tombul’ and ‘Montebello’ hazelnuts. Euphytica, 56: 231–236
researchgate.net (open access)

Ich möchte zum Thema ergänzend noch einige allgemeine Bemerkungen anfügen, denn die Frage nach der Selbstbestäubung stellt sich ja nicht nur bei der Hasel (hier ist immerhin Einhäusigkeit gegeben), sondern in noch höherem Masse bei jeder zwittrigen Blüte, bei deren Betrachtung man den Eindruck haben muss, dass der in den Antheren ausgebildete Pollen sehr leicht auf die meist in unmittelbarer Nähe befindliche Narbe fallen kann, weshalb man geneigt sein könnte, die Selbstbestäubung für die Regel zu halten.

Tatsächlich setzen Pflanzen auf beide Strategien: sie realisieren die geschlechtliche Vermehrung durch Fremdbestäubung (=Xenogamie), aber auch durch Selbstbestäubung (=Autogamie), welche ein sehr effizientes Mittel zur Sicherstellung der Befruchtung ist (ein Sonderfall ist hier die Kleistogamie). Aber wenn alle Samen so produziert würden, ginge der grosse Vorteil der sexuellen Vermehrung verloren, nämlich die genetische Variabilität, die Pflanzen erst zu resistenten, resilienten und an lokale Gegebenheiten gut angepassten Individuen macht.
Die aus genetischer Sicht eher ungünstige Selbstbestäubung reduzieren Pflanzen daher neben der von Muriel dargelegten biochemischen Selbstinkompatibilität (d.h. der Unwirksamkeit des Pollens auf der Narbe der eigenen Blüte) auch noch mit zwei weiteren grundlegenden Strategien (hier grob zusammenfassend dargestellt):

  1. Getrenntgeschlechtigkeit (Diklinie): dies meint in der Botanik allgemein die räumliche Trennung der Geschlechtsorgane auf unterschiedliche Blüten. Dabei unterscheidet man zwei Formen: bei der Zweihäusigkeit (Diözie) befinden sich eingeschlechtliche Blüten (weibliche und männliche) auf je getrennten Pflanzen, welche sich somit sich wie die höheren Tiere verhalten: Es gibt nur rein männliche und rein weibliche Individuen, weil die Blüten eines jeden Individuums stets nur die Organe des einen Geschlechtes enthalten. Als Beispiele mögen unsere Weiden, Pappeln und der Hopfen dienen. Besteht Einhäusigkeit (Monözie), sind die Blüten immer noch eingeschlechtlich, befinden sich aber auf derselben Pflanze. Bekannte Beispiele dafür sind Buche, Eiche, Birke, die Mehrzahl unserer Nadelhölzer und eben die Hasel.
  2. Getrenntzwittrigkeit (Herkogamie): hier findet die räumliche (oder zeitliche!) Trennung innerhalb einer zwittrigen Blüte statt, in der weibliche und männliche Organe in derselben Blüte vereint sind (=Hermaphroditismus). Dazu gehören die allermeisten Blütenpflanzen (Angiospermae). Da hier beide Blütenorgane nun sehr nahe beieinander liegen, haben sie versch. Mechanismen hervorgebracht, um die Fremdbestäubung zu favorisieren. Dazu gehört neben der erwähnten Selbstinkompatibilität z.B. die zeitliche Staffelung bei der Reifung der weiblichen und männlichen Blütenanteile (=Dichogamie). Reifen die männlichen eher, spricht man von Proterandrie (z.B. Aquilegia vulgaris, Epilobium angustifolium), umgekehrt nennt man das Reifen der Narben vor den Staubblättern Protogynie (z.B. Bei Pinguicula alpina). Wenn Selbstfertilität gegeben ist, verhindert somit ein völlig getrennter Reifezeitpunkt der Geschlechtsorgane eine Selbstbestäubung vollständig, ein zeitlich nur teilweise versetzter Reifezeitpunkt begünstigt zwar eine Fremdbestäubung, erlaubt aber die Selbstbestäubung der Blüte, falls diese bisher unbestäubt blieb.
    Eine Zwitterblüte kann zudem die Geschlechtsorgane auch räumlich trennen. Der Klassiker in dieser Hinsicht ist im Genus Primula zu finden mit seiner Heterostylie: es gibt hier Pflanzen, bei denen die Griffel immer deutlich länger sind als die Staubblätter und andere, bei denen dies gerade umgekehrt ist. Hier ist also sozusagen ein morphologisch gut erkennbares Imkompatibilitätssystem eingebaut. Am vollkommensten ist die Herkogamie dann, wenn der Pollen überhaupt nicht von selbst aus den Antheren heraus fällt. Ein Beispiel dafür sind unsere Orchideen, wo die Pollenkörner zu wachsartigen Massen (Pollinien) verklebt sind, welche von den Insekten herausgehoben und auf die Narbe einer anderen Blüte übertragen werden. Weitere Aspekte dazu in diesem Wikipedia-Artikel.


Als Quelle diente mir weiters folgendes spannende Paper des „Cercle vaudois de botanique“:

Samuel Jordan: Un subtil mécanisme de distribution du pollen chez Campanula (2019)

Darin auch hervorragende (!) Fotos einer weiteren Strategie zur Reduktion von Selbstbestäubung am Beispiel von Campanula barbata! Jordan bezeichnet es als „présentation secondaire du pollen“, was wohl als eine Form der Proterandrie aufgefasst werden darf. Unglaublich, wie mannigfaltig und ausgeklügelt die Einrichtungen sind, welche die Pflanzen besitzen, um Autogamie zu verhindern oder doch wenigstens die Allogamie wahrscheinlicher zu machen!

zu Corylus avellana: Da diese viel Zeit für die Reifung ihrer Nüsse braucht, blüht sie schon zeitig im Frühjahr. Zu diesem Zeitpunkt sind aber nur wenige Insekten unterwegs, weshalb sich als Bestäubungsstrategie die Windblütigkeit (Anemophilie) aufdrängt, was andererseits eine Selbstbestäubung nicht ausschliessen würde. Die Hasel setzt daher darauf, ihre männlichen und weiblichen Blütenanteile nicht zu nahe zu plazieren, weshalb sie Einhäusigkeit (Monözie) entwickelt hat, sodass die männlichen und weibliche Blüten nicht direkt nebeneinander sitzen (wie in einer Zwitterblüte). Zudem versucht sie, Selbstbestäubung auch dadurch zu reduzieren, dass sie ihre beiden Blütenarten zeitlich etwas versetzt blühen lässt (hier Metagynie). Hegi schreibt über ihre weibliche Blüten: „....zur Zeit des Stäubens der männlichen noch im Knospenzustand, ca. 0,5 cm lang, aus mehreren kleinen, trugdoldenartigen Blütenständen zusammengesetzt.“ (Bd. 3 pag. 72-73).

Das schliesst aber ein Überlappen der Blühphasen nicht aus. Dann kommt wieder der Schutzmechanismus der Selbstinkompatibilität vieler bzw. wohl der meisten ihrer Genotypen zum Tragen: sporophytic incompatibility. Danke @Muriel!

Abschliessend kann angemerkt werden, dass die Hasel (wie auch die Weiden) trotz ihrer Windblütigkeit als sehr bienenfreundlich gilt. Ihre männlichen Kätzchen werden von Bienen besucht, wobei es hier nicht um Bestäubung geht, sondern um das Sammeln von Pollen zu einer Zeit, in der das Futterangebot für diese Insekten sonst noch sehr gering ist.