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Leucanthemum gaudinii?

Hepi
Hepi 26.06.2022

Das Leucanthemum vulgare Aggregat bereitet mir öfters Kopfzerbrechen. Nun habe ich aber zum 2. Mal solche kleine Margriten in nährstoffreichem Borstgrasrasen angetroffen (Hier im Kiental und vor 1-2 Jahren im Unterwallis), die ziemlich gut zur Kleinart L. gaudinii passen: Einköpfig, mit Zipfeln an Blattgbasis, und dunklem Hüllblattrand und grosser Ähnlichkeit zum Bild im der Flora Helvetica

Soweit so gut, doch wo Leucanthemum drauf steht, ist Kopfzerbrechen nicht weit:

Ein Blick auf die Verbreitungskarte zeigt, dass die Art ausser von E. Landolt im Silhltal kaum gemeldet wird. Zudem stellt sich die Frage,  ob das Konzept von Landolt für L. gaudinii mit dem Konzept von der Flora Helvetica übereinstimmt? Hat Landolt ev. alles einköpfig-zipflige als L. gaudinii angesprochen? Dass auf der Verbreitungskarte kein einziger Fund verifiziert ist, deutet darauf hin, dass für den Namen mehrere Konzepte im Umlauf sind.

Was meint ihr zu L. gaudinii? 

5 Risposte

Hoi Dani,

hmm, ich finde die morphologische Abgrenzung von solchen Kleinarten eh schwierig, aber es gibt meistens spannende Evolutions-Geschichten hinter einer komplexen Taxonomie.

Leucanthemum vulgare aggr. ist teilweise durch Polyploidisierung zum Aggregat geworden, und dann wirds eh oft schwierig. Spannend aber, dass L. vulgare und L. gaudinii in der Fachliteratur beide als diploid angegeben werden (Greiner et al. 2012), in der FH aber als unterschiedlich ploid angegeben werden, mit 2n=36 (tetraploid) für L. vulgare und 2n=18 (diploid) für L. gaudinii

Interessant ist auch, was Greiner et al. (2012) zur Phylogeographie schreiben: Leucanthemum gaudinii soll an kältere Temperaturen angepasst sein und seit der Erwärmung im Holozän ist die Population fragmentiert und die Fragmente haben divergiert, an zwei Orten (Massif Central mit L. graminifolium und Alpes Maritimes mit L. burnatii) werden sie bereits als eigenständige Arten angesehen. Leucanthemum vulgare könnte hingegen ein Kulturfolger sein, der sich in anthropogen geprägten Wiesen und Weiden tieferer Lagen ausbreiten konnte.

Kürzlich (Vogt et al. 2018) wurden gleich noch mehr Arten aus dem Aggregat heraus beschrieben, weil man z.B. eine octoploide Sippe in den Alpes Maritimes entdeckt hat (L. esterellense), und weil eine hexaploide Sippe (L. pallens) auf einem Berg in NW Italien mit einer decaploiden Sippe (L. glaucophyllum) einen Hybriden bildet, der wiederum dann meist octoploid ist (L. x marchii). Noch mehr Bestimmungs-Kopfzerbrechen :)

Hier übrigens noch die Original-"Beschreibung" von L. gaudinii:  Della Torre (1882) (p. 244 oder [130), mit ein paar Schlüssel-Merkmalen aus einer anderen Zeit :) 

Hoi Dani,

ich habe noch etwas nachgeforscht wegen der Chromosomen-Zahl von Leucanthemum vulgare aggr. und folgendes gefunden, das dein Kopfzerbrechen erklären könnte, auch dank Wolfgang Jauch (siehe hier):

Der Name Leucanthemum ircutianum DC. wird in der Schweiz (infoflora.ch) nicht benutzt, ist aber bei POWO akzeptiert und kommt gemäss dieser Quelle auch in der Schweiz neben L. vulgare Lam. (POWO) vor. Der Typus ist aus Irkutsk, aber gemäss FloraWeb kommt L. ircutianum Turcz. ex DC. in Deutschland häufig und bis zur Schweizer Grenze vor. Und zwar zusammen mit L. vulgare Lam., der aber v.a. Südwesten Deutschlands weniger häufig vorzukommen scheint.

In der Flora Helvetica App steht bei Leucanthemum vulgare Lam. das Synonym Chrysanthemum ircutianum Böcher & Larsen, siehe diese Publikation von Böcher & Larsen. Dieser Name wird heute als Synonym von L. ircutianum DC. subsp. ircutianum angesehen (siehe POWO). Es scheint, dass das Schweizer Konzept nur L. vulgare Lam. als Art akzeptiert, und  L. ircutianum DC. als Synonym auffasst, siehe Flora Vegetativa: Leucanthemum vulgare Lam. (inkl. L. ircutianum).

Hier habe ich noch gelesen, dass L. vulgare Lam. morphologisch kaum L. ircutianum DC. unterschieden werden können (zumindest in Norwegen), weshalb die beiden Taxa häufig als Synonyme angesehen werden, offensichtlich auch in der Schweiz.

Gemäss Böcher & Larsen ist L. ircutianum DC. tetraploid, und es kommen tetraploide in der Schweiz vor, das würde wiederum die Angabe 2n=36 als Anmerkung unter L. vulgare Lam. in der FH erklären (die Basiszahl in Leucanthemum ist x=9). Die Angabe in der FH steht aber in Widerspruch zu Böcher & Larsen, die das Typus-Exemplar von L. vulgare Lam. (ohne Stängelblätter!) als Teil der diploiden Reihe ansehen (2n=2x=18).

Nach Lektüre von Greiner et al. 2012 und Quellen darin scheint es so zu sein, dass die in Zentraleuropa wild vorkommenden Arten des Leucanthemum vulgare agg. sind:

  • Leucanthemum vulgare Lam. (diploid, 2n = 18), Europa
  • Leucanthemum gaudinii Della Torre (diploid, 2n = 18), Pyrenäen, Alpen, Karpaten
  • Leucanthemum ircutianum DC. (tetraploid, 2n = 36)
  • Leucanthemum adustum (W. D. J. Koch) Gremli (hexaploid, 2n = 54)
  • Leucanthemum heterophyllum (Willd.) DC. (octoploid, 2n = 72)

Oberprieler et al. (2011) haben übrigens herausgefunden, dass die polyploiden L. adustum und L. ircutianum keine autopolyploiden Arten aus L. vulgare sind, sondern beides allopolyploide Arten mit L. vulgare als einem Elter (Pollen-Donor). Ein wahrscheinlicher Kandidat für die Mutter ist L. virgatum (Desr.) Clos, ein Endemit der Alpes Maritimes (Greiner et al. 2012 ), der stark ähnliche Chloroplasten hat.

Mehr Infos zu Leucanthemum:

Wow! Cool! Vielen Dank fürs diese super Zusammenstellung! 

Schau mal hier, ist das nicht ein L. gaudinii ?

Was mir bei deiner etwas fehlt sind die langen (viel länger als breiten) Zähne am Blattgrund, die oft auch umfassen, wobei auf dem unteren Bild sieht's schon danach aus! 

Ich würde tippen auf entweder L. gaudinii oder ein etwas kümmerlich geratener L. vulgare (nicht L. ircutianum), also einer der diploiden :)