3 Arten Samen?

Maria Merz 03.12.2024

Welche einheimische Blütenpflanze bildet an der gleichen Blüte drei verschieden geformte Arten von Samen aus?

26.11.2024 Oberhofen am Thunersee (Maria Merz)

11 Antworten

Liebe Maria,

Ackerringelblumen gedeihen bei mir aus Samen von dir, ich wusste aber nicht, dass drei Arten von Samen ausgebildet werden. Wieder ein interessantes Detail gelernt.

Lieber Markus, schneller gehts fast nicht! Du hast recht, es ist die Ackerringelblume. Ich weiss es zwar nicht sicher, aber ich nehme an, dass auch die Gartenringelblume die drei Arten von Samen macht.  Vielleicht kann das ja noch jemand bestätigen (oder widerlegen). Eine verblühte Calendula arvensis sieht so aus:

28.07.2022 (Maria Merz)

Liebe Maria

Merci für deine wiederum tollen Aufnahmen!

Die Ringelblumen sind eine relativ kleine Gattung, die zu den charakteristischen Bestandteilen der Mittelmeerflora gehört. Je nach Fassung des Artbegriffs umfasst sie zw. 10-15 Arten, wobei alle Heterokarpie aufweisen, was den Umstand meint, dass das gleiche Individuum unterschiedliche Fruchttypen ausbildet, die dann auch auf verschiedene Art ausgebreitet werden. Im vorliegenden Fall sind es in der Regel drei in jedem Fruchtkopf (durch Übergänge verbundene) Formen, d.h. dass hier die Achänen (ohne Pappus!) innerhalb des Korbes von dreierlei Gestalt sind (trimorph), wie das auf deiner Foto so schön zu sehen ist.

Das Phänomen ist bemerkenswert, und es lohnt sich, genauer hinzusehen, da hier der Zusammenhang zwischen Form und Funktion in der Natur deutlich wird. Am genauesten fasst es Hegi in Worte (Bd. VI 2, p. 800):

  1. Wind-(Flug-oder Kahn-)früchte, deren äussere Fruchtwand nachen- oder schalen-förmig ausgebildet ist. Das Mittelstück der Frucht trägt auf beiden Seiten einen segelartig aufgebauschten Flügel, während der dritte in der Fruchthöhlung selbst angebracht ist. Diese sehr leichten und frühzeitig aus den reifen Köpfen ausfallenden Früchte werden vorzugsweise durch den Wind verbreitet (Bodenläufer).
  2. Hakenfrüchte, denen die Flügelbildung fehlt, die schmal sind, auf dem Rücken zahlreiche nach aussen      gerichtete, an der Spitze einwärts gekrümmte Haken aufweisen. Sie sind an der Aussenseite des Kopfes angeordnet und werden gewöhnlich epizoisch verbreitet.
  3. Larvenähnliche oder Ringelfrüchte, die stark zusammengeringelt sind, aber der Flügel und Haken entbehren. Sie nehmen das Innere der Fruchtköpfe ein, sind in den Höhlungen der Windfrüchte verborgen, haften aber viel fester als diese am Fruchtboden. In der Form ähneln sie mikrolepidopteren Raupen. Ihre äussere Fruchtwand ist wellig gefurcht und besitzt unter der Epidermis senkrecht zur Aussenseite stehende Zellen, zwischen denen sich grosse luftführende Zwischenräume finden. Diese Früchte sind weicher und weniger trocken als die Windfrüchte, besitzen seidenartigen Glanz und sollen durch ihre Form eine Nachahmung gewisser Schmetterlingsraupen darstellen (Beispiel für Mimikry). Nach S e r n a n d e r werden sie bisweilen, ebenso wie die Hakenfrüchte, durch Ameisen (z.B. Peidole pellucida, Aphaenogaster barbara) verschleppt. Ob eine endozoische Verbreitung durch Vögel stattfindet, ist noch unbekannt. Hühner, Enten und zahme Drosseln, die B a t t a n d i e r mit solchen Früchten fütterte, nahmen sie nicht an (Zitatende). 

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die teilweise geflügelten, sichelförmigen oder gekrümmten bis geringelten Früchte gaben den Ringelblumen ihren Namen. Dadurch unterscheiden sich die Früchte abhängig von der Form auch in der Art ihrer Ausbreitung und können sowohl durch Anhaftung an Tieren (Epizoochorie), durch Wind (Anemochorie) oder durch Nahrungseintrag der Ameisen (Stomatochorie) verbreitet werden.

Hegi erwähnt weiters, dass die Reifung der 3 Fruchtformen wahrscheinlich nicht gleichzeitig eintrete: zunächst würden die Ringel-, dann die Kahn- und zuletzt die Hakenfrüchte reifen.

Quelle:  Dr. Gustav Hegi et al.: Illustrierte Flora von Mitteleuropa (Bd. VI 2)

Zur Veranschaulichung füge ich hieraus Hegis Figur 505 an (p. 799), die diese charakteristische Samen-Trimorphie am Beispiel von Calendula officinalis gut aufzeigt, wobei gilt:

a    fruchtender Kopf                 b - b4    Kahnfrüchte                 c, c1    Hakenfrüchte                  d, d1    Ringelfrüchte

Dr. G. Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa (Blumenwanderer)
  • Calendula officinalis
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Das Ganze nochmals durchgespielt am Beispiel des zweiten Ringelblumen-Taxons, das in der Schweiz vorkommt: Calendula arvensis. Die Darstellung entspricht Hegis Figur 510 (Bd. VI 2, p. 805). Hier gilt:

a  Blütenkopf    b, b1 Zungenblüten    c  Fruchtkopf      d, d1  Hakenfrüchte    e - e2  Kahnfrüchte     f  Ringelfrucht

Dr. G. Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa (Blumenwanderer)

Lieber Kilian

auch hier vielen, vielen herzlichen Dank für die hochinteressante Botanik-Lektion! Das macht Freude.

Auf Wikipedia findet sich zudem diese schöne Darstellung eines Kontinuums der Früchte bezüglich Calendula bicolor, was zeigt, dass es auch Übergangsformen gibt.

Quelle:  Atti della Accademia di scienze, lettere e arti di Palermo (1920)

  • Calendula
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(Blumenwanderer)

Herzlichen Dank @Maria und Kilian für die Calendula-Auslegeordnung! :-)

Auf der Suche nach weiteren CH-Arten mit unterschiedlich gestalteten Früchten (Heterokarpie) bin ich kaum fündig geworden - ich hab lediglich das Felsen-Milchkraut (Leontodon saxatile) auf dem Radar, dessen mittlere Früchte mit stattlichen Flugapparaten ausgerüstet sind, während die Randfrüchte mit ihren sehr kurz geratenen Pappusborsten (Krönchen) wohl einfach zu Boden segeln. 

Kennt ihr weitere Beispiele für Heterokarpie (Verschiedenfrüchtigkeit) in der mitteleuropäischen Flora?

Neben Heterokarpie gibt es ja noch weitere spannende Begriffe mit "Hetero-", ich denke v.a. an die "Heterostylie" (Verschiedengriffligkeit), mit sehr tollen Beispielen -> https://www.openflora.ch/de/wiki/heterostylie-2230.html (mein klarer Favorit seit diesem Sommer: türkis farbene Pollenkörner bei den langen Staubblättern des Blut-Weiderichs Lythrum salicaria). 

Und bei der "Heterophyllie" (Verschiedenblättrigkeit) ist die Liste wohl länger, angefangen beim Efeu (Hedera helix mit seiner Jungend- und Altersform), über die Verschiedenblättrige Kratzdistel (Cirsium heterophyllum – die Form der Blattspreite hängt mit dem Nährstoffgehalt des Bodens zusammen) bis zum Wasserhahnenfuss (Ranunculus aquatilis aggr.).
Auch das Turmkraut (Turritis glabra) könnte dazugerechnet werden – die Rosettenblätter sind grob buchtig gezähnt und mit Sternhaaren (seltener auch Gabelhaaren) bedeckt, die Stängelblätter sind kahl, glauk, ganzrandig, stängelumfassend. 

und ganz unterschlagen...! "Heterospor" (verschiedensporig), bei gewissen Farnpflanzen natürlich :-)

Konkret beim Dornigen Moosfarn (Selaginella selaginoides), Schweizer Moosfarn (Selaginella helvetica), Vierblättrigen Kleefarn (Marsilea quadrifolia), Pillenfarn (Pilularia globulifera), See-Brachsenkraut (Isoëtes lacustris), Gewöhnlichen Schwimmfarn (Salvinia natans), Lästigen Schwimmfarn (Salvinia molesta)und Grossen Algenfarn (Azolla filiculoides).

Was die Heterokarpie angeht, so lässt schon eine Andeutung Hegis von 1926 in der “Einleitung zu den Umbelliferae” den Schluss zu, dass es auch unter den Doldenblütlern ein paar Kandidaten dafür geben könnte (Bd. V 2,  p. 939-940):

„Einzelne klettfrüchtige Arten weisen die Erscheinung der Heterokarpie (Verschiedenfrüchtigkeit) auf in dem Sinne, dass z. B. bei dem in Mitteleuropa verschleppt vorkommenden Daucus aureus (wie auch bei anderen Daucus-Arten) die im Innern der Dolde stehenden Früchte verkümmerte Stacheln besitzen und erst beim Zerfallen der vogelnestartig-dichtgedrängten Fruchtdolde ausgesät werden, nachdem die gut klettenden Früchte der Randblüten durch Tiere abgestreift worden sind. Bei Scandix und der verwandten Gattung Cyclotaxis besteht die Heterokarpie darin, dass sich in der Mitte jedes Döldchens 1 bis wenige festsitzende, nicht aufspringende Früchte finden, die auch zur Reifezeit nicht abfallen, sondern zusammen mit der ganzen fruchtreifen Pflanze vom Winde verweht werden. Nicht damit zu verwechseln ist die „Heteromerikarpie" (Verschieden-Teilfrüchtigkeit), wie sie z. B. bei Torilis nodosa auffällig in Erscheinung tritt: in der gleichen Frucht ist die nach aussen gekehrte Hälfte mit Borstenstacheln bewehrt, die innere Hälfte dagegen nur von kurzen, stumpfen Warzen rauh. Als Mittel zur Tierverbreitung (durch Wollträger) sind wohl auch die blasen-förmigen Auftreibungen der Fruchtrippen bei Astrantia und die Höckerbildungen bei Tordylium aufzufassen.“

Quelle: Dr. G. Hegi et al.: Illustrierte Flora von Mitteleuropa

Die letztere Unterscheidung mit der Heteromerikarpie finde ich spannend, doch gibt es bei Torilis nodosa tatsächlich auch echte Heterokarpie, wie Hegi schreibt: "Bei T. nodosa sind (neben dieser „Heteromerikarpie" der Randfrüchte) die inneren Früchte der Döldchen oft in beiden Hälften nur stumpfwarzig, es tritt also „Heterokarpie" auf" (Bd. V 2, p. 1050).

Auch hier hat der morphologische Unterschied seinen Zweck (wiederum mit Bezug zu T. nodosa), da es um eine unterschiedliche Verbreitungsstrategie der Samen geht (Zoochorie versus Anemochorie):

“It seems that the spiny ones serve to spread the species to new areas, and the tuberculate ones to maintain the home population. This belief is supported by the fact that when collecting and cleaning seed of this species, the centraI tuberculate mericarps can be separated from the mother plant only with difficulty, while the spiny ones are usualIy already lost.” (Stephen L. Jury: Pollination and dispersal in Mediterranean umbellifers)

Quelle: Bocconea 5(1) - 1996 (p. 197)

Hier Figur 1 aus einer Studie desselben Autors von 1987 (A new species of the genus Torilis Adanson), die das Ganze veranschaulicht, wobei gilt:

A (oben) heterokarpische Variante     B (unten) homokarpische Variante

Quelle: Botanical Journal of the Linnean Society (p. 295)

Stephen L. Jury: A new species of the genus Torilis Adanson (Blumenwanderer)

Betreffend Torilis nodosa gibt es auf teline.fr schöne Nahaufnahmen dieser beiden Phänomene.

Quelle: Biodiversité végétale du sud-ouest marocain

  • Torilis nodosa
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Photographic credit: Abdelmonaim Homrani Bakali (Blumenwanderer)
  • Torilis nodosa
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In der Tat dürften die Beispiele für Heterophyllie zahlreicher sein! Arten, die mir spontan in den Sinn kommen, sind einige Wasserpflanzen mit Wasser-und Luftblättern wie bei Ranunculus fluitans, Oenanthe aquatica etc., dann auch Ranunculus aricomus mit seinen Frühjahrs-und Sommerblättern und Lonicera japonica, die neben ganzrandigen auch fiederlappige Blätter ausbildet, was auf der Foto von Koni Lauber (Flora helvetica) eindrücklich zu sehen ist. Aber auch bei der Stechpalme habe ich schon ganz unterschiedliche Blattformen beobachtet, wobei die höher gelegenen im Gegensatz zu den unteren ganzrandig und völlig stachellos waren, wobei ich mir auch schon gewünscht hatte, dass es umgekehrt wäre.

Oftmals sind ja auch die Grundblätter (und Keimblätter!) einer Pflanze ziemlich verschieden von denjenigen, die später im Verlauf des Wachstums an der Sprossachse erscheinen, so z.B. bei Scabiosa columbaria, um nur ein Beispiel zu nennen.

Einen guten Überblick über diverse Typen des Phänomens und Erklärungsversuche hierfür bietet dieser Wikipedia-Artikel, wobei hier der Begriff Blattpolymorphismus als Oberbegriff für mehrere Arten der Blattvariabilität (an ein und derselben Pflanze!) gebraucht ist.