Eigentlich nur auf einem unverfänglichen, kiesigen Ufer entlang der Sarine bei Hauterive (FR) etwas Pflanzen angeschaut – und bei drei Arten ins Grübeln resp. Staunen gekommen.
Die schwierigste, obwohl sie einfach aussah: Sand-Schaumkresse (Cardaminopsis arenosa = Arabidopsis arenosa). Bei der Bestimmung von Unterarten (und Kleinarten) drücke ich mich meist - aber bei dieser Art könnte sich eine Unterscheidung der beiden Unterarten "lohnen":
Gemäss Info Flora ist
- subsp. borbasii die mitteleuropäische, in der CH v.a. im Jura verbreitete Unterart und
- subsp. arenosa die ursprünglich osteuropäisch verbreitete Unterart, die gemäss Verbreitungskarte vom Jura übers Mittelland bis ins Tessin vorkommt.
Ich komme bei dieser knapp 20 cm hohen Pflanze am Ufer der Sarine auf die neophytische Unterart, subsp. arenosa, v.a. wegen des grossen Endabschnitt des Blattes. Vollständig weiss sind die Blüten aber nicht (wenig rosa oder lila spielt mit) und die Früchte sind über dem Stiel nicht oder nur undeutlich abgewinkelt. Aber mit einem Auge zugedrückt wäre somit fast alles in Ordnung.
Nach einem Blick in unterschiedliche Literatur und v.a. auf andere Verbreitungskarten ist mir aber weniger klar als zuvor... :-)
Beispielsweise:
- Nach POWO sind sowohl subsp. borbasii als auch subsp. arenosa in der Schweiz "native" (nicht "introduced").
- Auch nach den Verbreitungskarten von Euro+Med Plantbase sind subsp. borbasii und subsp. arenosa in der Schweiz "native".
- Al-Shehbaz & O'Kane (2002) listen in ihrer Publikation "Taxonomy and Phylogeny of Arabidopsis (Brassicacae)" beide Unterarten als "native" in der Schweiz auf und geben auf Seite 9 auch einen Schlüssel, um die beiden zu unterscheiden.
- In der Florenliste von Deutschland (Version 14, März 2024) gilt Arabidopsis arenosa subsp. borbasii als "indigen oder Archäophyt" (Abkürzung "I"); subsp. arenosa grundsätzlich in Deutschland ebenfalls als "indigen oder Archäophyt", in einigen Bundesländern aber als "etablierter Neophyt" (Abkürzung "e", zum Beispiel in Baden-Württemberg, BWe; in Bayern BY gibt es aber kein "e", sollte somit gemäss Florenliste kein Neophyt sein).
Wisst ihr mehr zum aktuellen Stand des Irrtums betreffend "native" und "introduced" der beiden Unterarten in der Schweiz? Ist das noch offen - oder hab ich schlicht die wichtigen Infos dazu nicht gefunden oder etwas komplett durcheinander gebracht?
Und worauf stützt sich Info Flora resp. die Flora Helvetica, welches ist ihre Quelle für ihre klare Einteilung in indigen versus neophytisch?
Bin gespannt und froh um euren kritischen Blick und eure Erfahrung! :-)
(unten nach der als subsp. arenosa bestimmten Pflanze von Hauterive (FR) zum Vergleich noch Fotos von subsp. borbasii Pflanzen aus dem Jura; hoffe richtig bestimmt...).
9 Réponses
Dann das Südafrikanische Greiskraut (Senecio inaequidens), grad neben der Sand-Schaumkresse - eigentlich ein klarer Fall, aber mit ausgesprochen farbenfrohen, breit-häutigen Hüllblättern, die ich grün-in-grün mit einer dunklen Spitze erwarten würde. Ich weiss keine andere Art, die hier als Doppelgängerin in Frage käme - aber vielleicht liege ich doch falsch?
Bin heute praktisch über die Antwort nach den bunten Hüllblättern des Südafrikanischen Greiskrauts (Senecio inaequidens) gestolpert - alles möglich, alles im Rahmen :-) Unten 3 Fotos, welche die Bandbreite illustrieren.
Und bei der dritten Art musste ich sofort an Pasta denken (zum Beispiel an Reginette, mit gewelltem Rand)... und erst dann an die Botanik: Bei einem so deutlich geflügelten (nicht nur kantigen) Stängel handelt es sich wohl um die Geflügelte Braunwurz (Scrophularia umbrosa).
Die stark krausen Flügel fanden sich bei einer kleinen Pflanze (am Haupttrieb) und bei einer anderen, ca. 50 cm hohen Pflanze an den Seitentrieben (ihr Haupttrieb war deutlich geflügelt, aber ohne Kräusel).
Vielleicht starten alle Stängel mit Kräusel - und strecken sich später? Ist mir noch nie aufgefallen, sieht aber sehr nett aus :-)
Trotz aller nomenklatorischen Verwirrung scheint sich aber im Verlaufe des 20. Jahrhunderts die Ansicht durchgesetzt zu haben, dass in dieser Vielfalt zwischen mind. zwei Unterarten zu unterscheiden sei.
Hierzu ein Zitat aus Scholz (1962): Nomenklatorische und systematische Studien an Cardaminopsis arenosa (L.) Hayek (aus: Willdenowia Bd. 3, H. 1 (Oct. 31, 1962))
„Einigen kritischen Arabis-Arten widmete F r e y n gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine besondere Studie (F r e y n 1889). Die von ihm behandelten Arten bilden heute einen Bestandteil der von H a y e k (1908) begründeten Gattung Cardaminopsis (Arabis sect. Cardaminopsis C. A. Meyer: s. auch H a y e k 1911). Cardaminopsis arenosa (L.) H a y e k zeigt eine grosse Formenfülle im pannonischen Raum und seinen angrenzenden Gebirgen. Die Gesamtverbreitung dieser europäischen Art erstreckt sich heute von der unteren Seine bis zum Wolga-Don-Gebiet (B u s c h 1939), dem Ural und nordwärts bis jenseits des Polarkreises (vgl. H e r m a n n 1956). Grosse Teile dieses Gebiets wurden von Cardaminopsis arenosa erst in jüngerer Zeit besetzt (z.B. Skandinavien, Norddeutschland), wobei sie als Begleiter des Menschen Wiesen, Rasenansaaten, Bahngelände und Ödflächen besiedelt. Dem mediterranen Klimagebiet, den Pyrenäen (s. H e y w o o d 1961) und den Britischen Inseln fehlt diese Art völlig. F r e y n nun, in der genannten Studie, kommt bei der Beurteilung der polymorphen C. arenosa zu einem Schluss, der Beachtung verdient: Eigentliche arenosa ist immer einjährig; ihre Samen sind ohne Flügelrand. Die Formen der Alpenländer mit einem Hautflügel am Samen sind vermutlich alle perenn und dann am besten der Typ einer weiteren, von C. arenosa und anderen Cardaminopsis-Arten zu trennenden Art (F r e y n l.c. 133 168). Für die Karpaten Galiziens gab Z a p a l o w i c z (1912) dieser Sippe die Bezeichnung subsp. borbasii.“
Wenn diese Erkenntnisse immer noch gültig sind, so scheint also die Sippe von C. arenosa ssp. arenosa erst grob im Verlaufe des 19. und 20. Jahrhunderts (wohl aber schon vorher) von Osteuropa kommend sich adventiv mithilfe des Menschen nach Westen ausgebreitet und das Verbreitungsgebiet von ssp. borbasii teilweise überlagert zu haben, wobei letztere mehr in gebirgigen Gegenden verbreitet ist, erstere mehr im Flachland.
Wiederum ist es m.E. eine Definitionsfrage, wie lange eine Art in einem Gebiet anwesend sein muss, um als „nativ“ zu gelten. Aber ich frage mich schon, ob das eigentlich dasselbe ist wie „indigen“ oder „autochthon“.
Hegi unterschied ganz offensichtlich noch nicht zwischen diesen beiden Unterarten, doch stellt er fest (Bd. IV, pp. 422-423):
„Arabidopsis arenosa ist von grosser Anpassungsfähigkeit und Veränderlichkeit. Bald als „Therophyt“, bald als ausdauernde Pflanze auftretend, vermag sie unter den verschiedensten Bedingungen die Früchte zur Reife zu bringen und in zahlreichen Pflanzengesellschaften konkurrenzfähig aufzutreten. Am häufigsten ist sie allerdings in der Felsflur als Spaltenpflanze auf Malmkalk und Dolomit, Gneis, Granit, Sandstein usw. anzutreffen und zwar in Nord- wie in Südexposition, an feuchten wie an trockenen Stellen; im Jura zusammen mit Draba aizoides (Bd. IV, pag. 377), Asplenium Ruta muraria und A. trichomanes, Melica ciliata, Sedum album und S. acre, Saxifraga Aizoon, Libanotis montana, Vincetoxicum officinale, Stachys rectus etc. Auf Kies-und Sandbänken der Flüsse erscheint C. arenosa zusammen mit Bromus sterilis und B. tectorum, Agropyrum repens, Erysimum canescens, Draba verna, Epilobium Dodonaei, Echium vulgare, Hieracium Pilosella usw. In den Kämpen der Weichsel gehört die Art wie Arabidopsis thaliana zu den ersten Frühlingspflanzen und blüht ununterbrochen bis zum Eintritt der Fröste......
usw. usf.: es nimmt keine Ende, was er alles zu schreiben weiss....
Zur Verbreitung in der Schweiz schreibt er (wobei auch er teilweise von Einschleppung spricht):
— In der Schweiz selten im Jura (Neuenburg, Solothurn, Aarau, Basel), im Mittelland bei Burgdorf, bei Bauma und am Stoffel bei Bäretswil; zuweilen adventiv, so bei Wassen, Wiler und Amsteg im Reusstal (hier durch italienische Steinbrucharbeiter eingeschleppt!), zwischen Lauterbrunnen und Isenfluh im Berner Oberland, im Kanton St. Gallen (Nesslau, Neu-St. Johann, Rheineck, Buchs), bei Hergiswil am Vierwaldstädtersee, Mündung der Emme bei Solothurn, Arosa (Graubünden), Bahnhof Zürich usw.
Hoi Muriel
Du stellt wie so oft interessante Fragen… Auf welcher Grundlage InfoFlora die Indigenität von Pflanzen einstuft, wüsste ich auch gerne (ist ja auch sehr schwierig). Vielleicht würde es sich lohnen, gleich direkt bei ihnen mal nachzufragen? C. arenosa subsp. arenosa besiedelt ja zumeist schon Standorte, die eine Neueinschleppung der Art plausibel erscheinen lassen. Was echt der Hegi dazu sagt?
Wenn man diesem Forenthread glauben kann (Aussage Michael Hassler), gibt es keine genetischen Untersuchungen zu den beiden Unterarten von C. arenosa:
https://pflanzenbestimmung.flora-germanica.de/viewtopic.php?t=1191
Meiner Meinung nach sind diese aber sowohl morphologisch, als auch ökologisch und geographisch (gut je nach Einschätzung der subsp. arenosa) sehr gut getrennt. Klar kann es immer wieder mal Formen geben, die morphologisch scheinbar zwischen den beiden vermitteln, aber das würde ich einfach als Variabilität sehen. Deine beiden Bestimmungen würde ich übrigens bestätigen!
Für wen das interessant ist, hier eine evolutionsgeschichtl. Studie zum Arabidopsis arenosa-Komplex, der eng verwandt mit der Modellart Arabidopsis thaliana ist. Offenbar unterscheiden sich die beiden Unterarten vor allem im Ploidie-Grad:
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0042691#pone-0042691-g001
Herzlichen Dank @Blumenwanderer & Jonas!
Die "Illustrierte Flora von Mitteleuropa" ist eine unglaubliche Quelle... und bei der erwähnten Einschleppung der Pflanzen im Urner Reusstal durch italienische Steinbrucharbeiter musste ich natürlich schmunzeln. Ob das zur damaligen Zeit ein gesicherter Nachweis für eine eingeschleppte Art war? Wer weiss.
Für mich ist die Unterscheidung der beiden Unterarten klar(er) – aber ob subsp. arenosa in der Schweiz nun als Neophyt gelten soll, hab ich noch nicht durchschaut.
Gelernt hab ich aber immerhin folgendes:
Nach der Publikation von Schmickl et al. 2012 (PLoS ONE) kann der Ploidiegrad per se für die Unterscheidung zwischen subsp. arenosa und subsp. borbasii nicht verwendet werden; d.h. diploid sind nur gewisse subsp. arenosa Populationen; andere sind wie subsp. borbasii tetraploid.
Konkret, "Table 1:
"
(Woher die längere Auswahlsendung an Ploidiegraden in der Flora Helvetica kommt weiss ich nicht).
Apropos Datengrundlage der Flora Helvetica: Einiges ist im Literatur-Verzeichnis der Checklist 2017 hinterlegt (download auf https://www.infoflora.ch/de/allgemeines/downloads.html > "Kommentierte Checkliste") - aber zu Cardaminopsis/Arabidopsis arenosa finde ich nichts im Literaturverzeichnis.
Und ja, Jonas, einverstanden mit anklopfen im Datenzentrum :-) Hab ich gemacht. Und bin gespannt auf eine Antwort.
Um bei den Brassicaceen zu bleiben, so setzt sich dann wohl die ganze Unsicherheit puncto Indigenat z.B. bei einem eng verwandten Taxon wie Cardaminopsis halleri fort. Da ist mir auch nicht klar, weshalb diese nördlich der Alpen als nicht indigen gelten soll (gemäss Verbreitungskarte Infoflora), auch wenn es sich hier teilweise um Sekundärbiotope handelt. Auch Apophyten sind ja letztlich native Arten! Ich sah sie auf der Alpennordseite schon in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, auch in Wäldern. Hegi sieht sie durchaus auch als mitteleuropäische Art an, wenn er schreibt:
"Cardaminopsis Halleri gehört dem mitteleuropäischen Element, insbesonders der hercynischen Bergwaldflora an, ähnlich wie Chrysosplenium oppositifolium, Phyteuma nigrum (Bd. VI, pap. 375), Galium Hercynicum, Trifolium spadiceum, Senecio rivularis usw. Daselbst zählt C. Halleri zu den weitverbreiteten Typen, so dass sie bereits A. von Haller, dem zu Ehren die Pflanze von Linné auch benannt wurde, bei seiner ersten pflanzengeographischen Reise in den Harz auffiel. In seinem „Iter hercynicum" ist C. Halleri vorzüglich abgebildet. Besonders charakteristisch ist die Pflanze für üppige, frische Wiesen vom Typus der Trisetum flavescens-Wiesen auf nordexponierten Hängen der subalpinen Stufe der Südalpen auf Urgestein, hier zusammen mit Poa Chaixii, Phleum alpinum, Rumex arifolius, Polygonum Bistorta, Trollius Europaeus, Cirsium heterophyllum usw. Nicht selten ist die Pflanze auch an sekundären Standorten anzutreffen, so im Nordharz auf den Schottern der Bäche bis in die Ebene hinab zusammen mit Armeria Halleri und Alsine verna (Bd. III, pag. 400). In Schlesien bezeichnet C. Halleri nach Pax die untere Grenze der montanen Stufe. Nach August Schulz (40. Jahresbericht des Westfäl. Prov.-Vereins. Botan. Sektion. 1911/12) kommt C. Halleri in Mitteldeutschland auf schwermetallhaltigem (Zink und Blei) Boden vor, weshalb sie stellenweise (z. B. im Quellgebiet der Ruhr) den Namen „Erzblume" führt. Sie ist daselbst für den Zinkgehalt des Bodens bezw. für die Verschlechterung der Wiesen durch die den Bächen zugeführten metallhaltigen Grubenwässer sehr bezeichnend. Auch apophytisch tritt sie häufig an Wegrändern, Zäunen, feuchten Mauern und ähnlichen Orten auf. Im Vereine mit Armeria Halleri und Alsine verna zeigt sie nach Drude im Harz Plätze von früheren Kohlenmeilern an. — Infolge der vegetativen Vermehrung durch Ausläufer bildet sie zweilen ausgedehnte, fast reine Bestände."
(Hegi, Bd. IV, 1 p. 425)